Samstag, 6. August 2011

Ramadan – Zeit des Zeit-Totschlagens, Zeit der Heimkehr, Einkehr und Rückbesinnung. Aber warum ist die Kirche weg?

Gastbeitrag von Morad Boras

Der heilige Monat Ramadan ist die Zeit der Reflexion und Rückbesinnung. Zwei Begriffe, die es in sich haben und doch auf verschiedenste Art erlebt werden können. Aber wie genau stellt man das an? Wie reflektiert und worauf besinnt man sich zurück?

In den nächsten Zeilen will ich versuchen mein kleines Ramadan-Erlebnis, das ich nicht in Berlin erlebt habe, aber trotzdem für erwähnenswert halte, zu beschreiben. 

Heute kam es mir in den Sinn mir mein Fahrrad zu schnappen und in den Baumarkt zu fahren. Gesagt, getan. Vor Ort ließ ich mir etwas Zeit, schließlich sind es noch gefühlte 40 Stunden bis zum Iftar (Fastenbrechen). Also machte ich langsam und schlenderte durch den Baumarkt. Bereits auf dem Hinweg fiel mir eine Seitenstraße auf, die ich in meiner Kindheit oft mit dem Fahrrad entlang gefahren bin und auf der ich oft und gerne gespielt habe. Freunde und Klassenkameraden haben an ihr gewohnt. Deshalb fand man mich oft und gerne dort.

Ich nahm mir vor, auf dem Rückweg in diese Straße zu biegen und die Zeit ein wenig zurückzudrehen, alte Erinnerungen hochzuholen und die vergangenen Jahre Revue passieren zu lassen.

 Im Baumarkt kaufte ich natürlich mehr ein als ich brauchte, und so verging wohl nach meiner Wahrnehmung etwas mehr Zeit als in Wirklichkeit. Schließlich sprang ich auf mein Rad und fuhr los. Beim Treten der Pedale dachte ich die ganze Zeit darüber nach, ob es eine gute Idee war Fahrrad zu fahren. Es ist gerade sehr warm und mein Durst wird im Laufe des Tages nicht weniger werden. Wie dem auch sei…klären konnte ich diese Frage nicht, da ich ja nun meine Kindheit hervorholen wollte.

Ich fuhr in die Spielstraße hinein. Entlang an Häusern, in denen ich früher sehr oft zu Gast gewesen bin. Viele meiner Freunde und Klassenkameraden sind bereits von hier weg gezogen. Wer genau  wusste ich allerdings nicht. Innerlich sprach ich jeden Namen aus, den ich noch kannte  und der mir in den Sinn kam. „Andreas, Dominik, Christine, Kim, Enrico, Matthias, Katrin und Nick.“ Weiter kam ich nicht. Viele andere kannte ich auch nur vom Sehen. Aber Spaß hatten wir alle gemeinsam. So fuhr ich von der besagten Straße in einen Heckenweg hinein, an einem Spielplatz entlang, der uns damals immer eine große Freude bereitet hat. Gleich neben dem Spielplatz war ein kleiner Bach. Sogar mit ihm verbinde ich mehrere Geschichten. Als ich durch den zweiten Heckenweg fuhr, entschied ich mich, meinen alten Kindergarten zu besuchen, um zu sehen, welche Bilder mir von damals in den Sinn kommen könnten. Entlang der Straße kam all der Spaß wieder hoch, auch der Unsinn, der uns damals umtrieb, und ich konnte mir das Grinsen kaum noch verkneifen.

Am Kindergarten angekommen fiel mir auf, dass irgend etwas fehlt. Ich sah Bauarbeiter, die gerade ihrer Arbeit nachgingen, und plötzlich fiel es mir wieder ein: Eine Kirche hatte dort, wo gerade die Bauarbeiter neue Häuser errichteten, gestanden. Die evangelische Friedenskirche war weg. Einfach weg. Als Muslim sollte mich das gefühlsmäßig weniger stören, doch mit dieser Kirche verbinde ich einfach so viel. Damals fragte ich meine Freunde oft nach ihrem Konfirmandenunterricht. Ich war stets neugierig und empfand es immer als sehr wohltuend, wenn mir meine Mama erzählte, dass wir viel mit diesem Glauben gemeinsam haben. Schließlich war ich oft der einzige Muslim unter ihnen. Aber wenn es um den Glauben ging, haben wir viele Prophetengeschichten geteilt. Abraham (as), Noah (as) und Moses (as) waren nicht selten bekannte Schnittstellen unter uns.

Als ich nun auf einen kirchenfreien Ort blickte, den ich bisher nur MIT einer Kirche gekannt hatte, dachte ich nach. Ein Gotteshaus war abgerissen worden. Nicht mein Gotteshaus, aber das derjenigen, die hier ihre Gemeinde vorgefunden, hier ihre kirchliche Hochzeit vollzogen, ihre Weihnachtsmesse besucht und ihre Neugeborenen getauft hatten. Dies ist eine Schnittstelle der Gemeinde zu Gott gewesen. 

Dieses Ereignis  bewegte mich. Gerade im Monat Ramadan ist die Spiritualität nochmal eine Ecke höher und die Verbindung zu Allah (t) wird öfters aufgesucht, als in den anderen elf Monaten des Jahres. Also fragte ich mich, wie es dazu kommen konnte. War die Gemeinde dafür oder dagegen gewesen? Welche Alternative wurde nun für die Gemeinde bereitgestellt? Leidet nun die Spiritualität der Menschen darunter, die nun kein Gotteshaus vor der Tür stehen haben?

Für mich bleiben diese Fragen zunächst offen. Aber gleichwohl bedeutet das, dass Menschen dazu in der Lage sind ein Gotteshaus abzureißen. In einer Gesellschaft, die sich immer mehr von Gott entfernt, verwundert es mich nicht. Aber die Empathie, die ich für diesen Ort, samt der Kirche, empfinde, wird bleiben. All meine Erlebnisse, seien sie positiv oder negativ, trage ich ihn mir. Ich schwelge gerne in Erinnerungen. Sie zeigen mir, dass die Zeit voranschreitet, die Welt nur eine Reise ist und ich auf ihr nur ein Gast bin. Gestern erst wurde ich vom Kindergarten abgeholt. Heute ist ein Vierteljahrhundert vergangen. Jedem Menschen sollte bewusst sein, dass seine Zeit auf dieser Erde beschränkt ist. Früher oder später treten wir unserem Schöpfer gegenüber. Bis dahin sollten wir dankbar sein. Dankbar für all die Barmherzigkeiten, die Er (t) uns erweist und für die wir uns selten bedanken.

Inzwischen bin ich daheim angekommen und schreibe die letzten Zeilen meines kleinen Erlebnisses zu Ende. Es sind noch wenige Stunden bis zum Fastenbrechen, und auch dafür bin ich dankbar. ..

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