Sonntag, 7. August 2011

Ramadan zwischen Beten und Feiern


Während des Ramadan bin ich in meiner eigenen Welt. Ich faste, ich bete, ich lese Koran, ich bin die meiste Zeit zu Hause. Dann, abends, gehe ich hinaus. In die Moschee, zum Essen, und wieder zum Gebet, das mich täglich berührt. Die schöne Stimme, die schönen Worte, die tiefe Wahrheit, die ich bei all dem empfinde.  Es ist ein gesegneter Monat, und das merke ich. 

Wenn wir nach dem Gebet zur U-Bahn laufen, ist es nach Mitternacht. Draußen auf der Straße gibt es viele Muslime, die ebenfalls vom Gebet kommen. Sie stehen dort, sie unterhalten sich. Männer, Frauen, Kinder, Alte, Junge, Familien und Freunde. Autos stehen im Weg, ein schwerer Duft Männerparfüm liegt in der Luft. Ich fühle mich wie in Ägypten. Was für eine Atmosphäre! Viele von ihnen laufen wie wir zur U-Bahn. Einige haben weite, weiße Gewänder an, viele tragen Bärte, die Frauen Kopftücher. Die U-Bahn füllt sich mit ihnen. Ein seliges Lächeln befindet sich auf ihren Gesichtern. Ja, es ist Ramadan! 

In meiner Welt…

Ich schaue auf von meiner Welt. Nach rechts. Nach links. Es ist Donnerstag Nacht. Eine Bierflasche liegt in der Hand des Mannes, der mit gläsernen Augen schräg gegenüber von mir sitzt. Ein Minirock geht klackernd an mir vorbei. Das Paar in der Ecke küsst sich wie in Ekstase. Die Jugendlichen wanken grölend von dannen. Der Obdachlose verkauft laut rufend seine Straßenzeitung. ..

Oh du liebe Ramadanstimmung, wo bist du nur hin? Wo ist nur meine Welt hin? Ich will sie festhalten, will mich an sie klammern. Ich werde traurig. All diese Leute wissen nicht, dass gerade Ramadan ist. Sie wissen nicht, was wir gerade für eine Zeit durchleben. Sie wissen nicht, wie besonders dieser Monat für uns ist. Sie wissen nicht, dass es uns jetzt noch mehr weh tut, Dinge zu sehen, die wir nicht sehen wollen. Sie wissen nicht, dass ich mir insgeheim wünsche, dass meine Welt doch bitteschön auch ihre Welt sei!

Was für ein Bruch!

Eines Nachts wandere ich allein zum Gebet, an einer Moschee vorbei. Eine Gruppe türkischer Frauen steht dort, tratschend und lachend. Eine Person löst sich aus der Gruppe, als ich an ihr vorbei gehe, und geht ein Stück mit mir. Sie trägt ein Kopftuch, beginnt mit mir zu reden. Sie flucht über ihren unbequemen Rock, sie flucht über die „Penner“, an denen wir vorbeilaufen. Eine echte Berlinerin! Sie erzählt mir, wie solche „Penner“ sie oben auf dem Dach gefangen hielten und sie ausraubten, als sie sieben Jahre alt war. Mir bangt es ein wenig vor ihr, ich will das eigentlich nicht hören. Dann verabschiedet sie sich von mir, wünscht mir ein gesegnetes Gebet und noch einen schönen Ramadan.

In der Moschee angelangt bin ich wieder angekommen in meiner Welt, tauche ins Gebet und genieße es bis zum Ende. Dann fahre ich nach Hause, wieder die gleiche Szene in der Bahn: auf der einen Seite die Menschen, die im Moment ihre körperlichen Begierden drosseln und Gottesnähe durch Gebet und Fasten suchen, auf der anderen Seite die Menschen, die ihren körperlichen Begierden dienen und Ablenkung in weltlichen Dingen suchen. 

Ein Bruch?

Ich beginne noch einmal nachzudenken. Was ist denn das Leben? Ist es ein Leben zwischen Welten? Mir fällt Goethes Faust ein, der sagt: „Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust…“. Da wird mir klar: diese zwei Gruppen, die ich vor allem in der Nacht in den Wagons der Bahn sehe, ist eigentlich die Veräußerlichung unseres eigenen inneren Kampfes, den wir unser ganzes Leben führen – und vor allem im Ramadan! Ja, klar, wir wollen gereinigt sein durch Fasten, Gebet und dem Unterlassen von Schlechtem, wir wollen nur Gutes denken, sagen, reden und sehen. Wir wollen in uns gehen und alles Schlechte aus uns herausholen.  Wir wollen gut sein, und noch besser. Wir wollen so viel, haben uns so viel vorgenommen… Und was schaffen wir?

Diese Menschen, zwischen seligem Lächeln nach dem Gebet und gläsernem Blick nach der Party, erinnern uns immer wieder daran, wer wir sind und wohin wir wollen. Sie sind der Kampf unserer inneren Kräfte, die sich durchaus in EINER Welt befinden. Sie sind eins. 

Und deshalb ist das kein Bruch!
 
Wenn ich jetzt nach dem Gebet nach Hause fahre und in der Bahn diese Leute sehe, versuche ich sie als Erinnerung zu sehen. Nein, zugegeben, ich sehe sie nicht gern, die Säufer und Tänzer und Küsser und Gröler, sie stören meine Suche nach innerer Reinheit. Aber wer sieht schon gern die Schattenseiten seines eigenen Ichs? Trotzdem sind sie da, und dieser tägliche Anblick erinnert mich ab jetzt: Hey, nicht alles an dir ist strahlendes Gesicht und reine Seele! Da ist noch eine Menge, woran du zu arbeiten hast!

Auch, wenn’s manchmal wehtut: Danke, ihr Fahrgäste der Nacht!

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